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Heimkehr

1 - Aufbruch

Ein ganz normaler Bremer Bürger bringt jemanden nach Hause. Nur das dessen Zuhause einige Lichtjahre weit weg ist.

 

Die Straßenbahn fuhr rumpelnd über die Weiche, klingelte misstönend, als sich ein Autofahrer noch vor ihr vorbeischob, und überquerte dann langsam die Kreuzung. Ohne aufzublicken, wusste er sofort, wo sich die Straßenbahn im Augenblick befand. Noch zwei Haltestellen und er war in der Stadtmitte. Wenn er noch etwas schneller las, konnte er dieses Kapitel kurz vorher zu Ende lesen. Während einige Fahrgäste der Straßenbahn, die keinen Sitzplatz mehr bekommen hatten, sich noch lautstark über den Autofahrer beschwerten, saß er eingekesselt auf einem Fensterplatz und las in einem Taschenbuch. Auf den Knien lag seine Umhängetasche, gefüllt mit einigen Arbeitsutensilien. Hauptsächlich war sie aber leer. Das würde sich aber in kurzer Zeit ändern. In seinem Portemonnaie befanden sich rund hundert Mark.
Ruckend fuhr die Straßenbahn wieder von der Haltestelle ab. Rasend schnell überflog er noch die letzte Seite des Kapitels, knickte ein Eselsohr hinein und verstaute das Buch in der Umhängetasche. Als er aufblickte, begann die Straßenbahn gerade damit ihre Geschwindigkeit zu verringern. Kurz darauf drängelten die aussteigenden Fahrgäste nach vorne zum Ausgang. Es gab zwar noch in der Mitte und hinten noch einen Ausgang aber da viele von ihnen noch in andere Straßenbahn- und Buslinien umsteigen mussten, wollten sie Zeit sparen und drängelten alle nach vorne.
Als der Letzte ausgestiegen war, befand er sich bereits auf dem Rathausplatz, etwa einhundert Meter von der Haltestelle entfernt. Er hatte den mittleren Ausgang gewählt, obwohl der vordere viel näher gewesen war. Aber er fuhr diese Strecke schon seit neun Jahren und kannte dieses Spiel bereits. Normalerweise hätte er auch mitgespielt aber heute, wollte er noch einen Stadtbummel machen, um sich wieder mit Lesestoff einzudecken. Er hatte also Zeit genug und brauchte sich nicht abzuhetzen, wie viele andere es taten.
Auf dem Weg zum ersten Kaufhaus ging er schnell und neugierig an der kleinen Demonstration auf dem Marktplatz vorbei. Sie war von vielen Polizeikräften umstellt worden, die darauf zu Achten hatten, dass es nicht zu Ausschreitungen und Krawallen kam.
'Wir wollen Kontakt' hieß es auf einigen Transparenten. 'Militarismus ist der falsche Weg' stand auf einem anderen. Diese wenigen Hinweise sagten ihm, wogegen diese wilde Demonstration stattfand. Es war ein offenes Geheimnis, das um die Erde ein UFO schwebte. Natürlich wurde der Bevölkerung diese Tatsache vorenthalten, aber es gab Gerüchte. Die Bundesregierung gab dann später bekannt, dass es sich um eine neue Raumfähre der Russen handelte, was viele aber nicht glaubten. Schon deswegen nicht, weil die Russen dies dementierten.
Ihm kümmerte das aber im Augenblick wenig. Wenn es wirklich ein UFO war, würde es irgendwann einmal landen. Wozu wäre sonst gekommen? Allerdings wenn diese Außerirdischen klug wären, würden sie nicht landen, sondern sich still und leise zurückziehen und erst in ein paar Jahrhunderten wiederkehren. Denn die politischen Verhältnisse auf der Erde waren auf dem Tiefstand. Vor einem Jahr hatte es noch ganz anders ausgesehen, aber dann hatte der amerikanische Präsident einen riesigen Fehler begangen, als er einige neue Atomraketen mit großer Reichweite in der BRD stationierte. Der Ostblock war darüber gar nicht erfreut und alles endete in sehr frostigen Beziehungen zwischen Ost und West. Aber daran konnte er auch nichts ändern. Er überquerte die Straßenbahnschienen und verschwand im Kaufhaus.
Mühsam schlängelte er sich durch die Gänge in Richtung der Bücherecke. Heute schien aber auch jeder Bremer in der Stadt zu sein. Wahrscheinlich lag es an der verlängerten Ladenöffnungszeit. Heute war ja Donnerstag und die Geschäfte hatten bis halb neun Uhr abends offen.
Endlich hatte er den Buchstand erreicht. Hier war es nicht so voll wie in den anderen Abteilungen des Kaufhauses. Konzentriert und schnell suchte er sich die vielversprechenden Bücher heraus. Las die kurze Inhaltsbeschreibung auf der Rückseite und entschied sich für zwei Bücher. Bevor er die Kasse aufsuchte, sah er sich aber noch die anderen Regale an. Ab und zu konnte man auch hier noch ein gutes Buch finden. Heute allerdings nicht und so reihte er sich in die Schlange an der Kasse ein. Es dauerte eine weile, bis er an der Reihe war. Als er bezahlt hatte und die Bücher in der Umhängetasche verstaut hatte, wandte er sich dem Ausgang zu. Sein nächstes Ziel war ein reiner Buchladen. Ein Stück die Obernstraße rauf. Durch die quirlende Menschenmenge suchte er sich einen Weg zum Buchladen.
Der Eingang war eng und vollkommen durch Menschen versperrt. Trotzdem drängelte er sich langsam hindurch. Auch der Innenraum war voll. Als er die Treppe im hinteren Teil des unteren Verkaufsraumes erreichte, lichtete sich die Menschenmasse. Oben war es nicht so voll wie unten aber auch hier musste er sich vorsichtig durch die vielen Bücherstapel bewegen. An der Science Fiktion Ecke angekommen lies er sich Zeit. Die Taschenbücher standen sehr eng zusammen und er musste den Kopf um neunzig Grad neigen, um die einzelnen Titel lesen zu können. Hier hielt er sich mit Vorliebe auf, denn dieser Buchladen strömte noch das richtige Aroma nach Büchern aus. Auch war er nicht so groß und übersichtlich, wie die Buchstände in den Kaufhäusern. Hier war es eng und der Raum quoll nur so von Büchern über. Während er Titel für Titel las, lenkte ihn die Geräuschkulisse von draußen nur wenig ab. Als er trotzdem einen kurzen Blick durch das Fenster nach draußen warf, sah er, dass viele Menschen nach oben in die Luft zeigten. Auch hörte er ein Brausen über der Geräuschkulisse von der Straße.
Wahrscheinlich schwebten wieder einmal eine Anzahl von Heißluftballonen über der Stadt. Die Wetterbedingungen dafür waren heute perfekt und der Flughafen, der als Startplatz diente, war nur wenige Kilometer entfernt. Er war vor einer Weile daran vorbeigefahren. Seine Arbeitsstelle lag ja direkt neben dem Flughafen. Und wenn er sich recht erinnerte, hatte, er auch einen Ballon über dem Flughafen schweben sehen, als er einmal kurz von seinem Taschenbuch aufgeblickt hatte.
Er wandte sich wieder den Büchern zu und suchte sich gleich vier davon aus. Zwei waren Fortsetzungen von Geschichten, die er bereits besaß. Die anderen beiden waren Einzelgeschichten.
Beladen mit diesen Büchern durchquerte er den Raum mit schweifenden Blick. Tatsächlich fand er noch ein Buch, das ihn interessieren könnte. Er lud seine vier Bücher kurzerhand ab und las die kurze Inhaltsangabe auf der Rückseite. Mit fünf Büchern stieg er schließlich die Treppe hinab. Die Kasse befand sich am Ausgang des Buchladens. Vorsichtig bahnte er sich einen Weg dorthin. Draußen auf der Straße herrschte eine wilde Diskussion über UFOs. Ob die Demonstration durch die Obernstraße zog? Als er bezahlte, schrumpfte sein Geldbeutel bedenklich. Eigentlich wollte er noch ein Kaufhaus aufsuchen, aber ohne Geld konnte nichts kaufen. Auch Bücher nicht.
Kurz hinter dem Eingang beziehungsweise dem Ausgang lag ein etwas größerer Platz. An seiner Seite ordnete er die neu erworbenen Bücher in die Umhängetasche ein. Sie ging gerade noch zu. Und verdammt schwer war sie jetzt. Dafür würde sie aber nicht herunterfallen, denn der Halteriemen, der sie hielt, lag über seiner rechten Schulter, während die Tasche an seiner linken Seite hing.
Auf der Obernstraße war jetzt helle Aufregung zu spüren. Ob er einen anderen Weg wählen sollte? Er wollte eigentlich nicht in die Demonstration hineingezogen werden. Links konnte er durch zwei Gebäude hindurch in die Langenstraße ausweichen. Am Rathausplatz würde er wieder herauskommen. Als er die Langenstraße erreichte, war sie menschenleer. Die Geräuschkulisse der Menschenmenge auf der Obernstraße war hier nur noch leise zu hören. Vor ihm kam der Rathausplatz in Sicht. Das heißt nur die eine Seite davon war zu sehen.
Knallende oder peitschenartige Geräusche ließen ihn stehen bleiben. Vereinzelt konnte er jetzt Schreie hören. Die Demonstration schien, außer Kontrolle geraten zu sein, und die Polizei griff anscheinend ein. Irgendwie musste er jetzt zum Domshof kommen, ohne mit der Demonstration in Berührung zu kommen. Der Teil des Rathausplatzes, den er sehen konnte, war leer. Er konnte ihn in wenigen Sekunden überqueren und in der genau gegenüberliegenden Straße wieder verschwinden. Die Haltestelle der Buslinie lag gleich dahinter.
Langsam näherte er sich dem Eingang zum Rathausplatz. Wieder knallte es laut auf. Schüsse! Ihm wurde plötzlich kalt, obwohl Sommertemperaturen herrschten und er ohne Jacke zur Arbeit gefahren war. Ein dumpfes Gefühl entstand in seinem Bauch. Angst! Er beeilte sich, um so schnell wie möglich zum Bus zu kommen. Als er den Rathausplatz betrat, geschahen plötzlich mehrere Dinge gleichzeitig.
Hinter ihm tauchten aus einem Seitenweg eine Anzahl von Polizisten auf. Rechts von ihm rannten einige Menschen in Panik die Straße entlang, die hier rechtwinklig abbog und zur Weser führte. Vor ihm stand, mitten auf dem Rathausplatz ein UFO. Schwarz, diskusförmig. Etwa dreißig Meter im Durchmesser. Und zehn Meter hoch. Es stand auf fünf stelzenartigen Teleskopbeinen. Genau vor ihm lag eine blutrot leuchtende Öffnung, von der eine Rampe auf dem Boden führte. Dieser Eingang zu dem UFO befand sich nur zehn Meter vor ihm. Noch näher vor ihm stand ein Außerirdischer und starrte ihn an. Er starrte genauso zurück. Total fassungslos starrten sie sich gegenseitig an. Der Außerirdische war etwas größer als er selbst. Entfernt ähnelte er einem Menschen. Die Beine, zwei Stück, waren kurz und mit einem dunkelroten Fell bedeckt. Der Fuß ähnelte einem menschlichen, nur das die einzelnen Zehen viel länger waren. Und anscheinend auch viel Beweglicher. Der Rumpf war ebenfalls mit Fell bedeckt und schien die Form eines Zylinders zu haben. Er war auch viel länger als der eines Menschen. An seinem oberen Ende gingen zwei Tentakel ab. Die Arme des Außerirdischen. Sie waren etwas so lang wie seine Eigenen. Das Merkwürdigste an diesem Wesen war der Kopf. Er hatte die Form einer Kugel und saß ohne einen Hals auf dem Rumpf des Wesens, der sich oben etwas verdünnte. Statt Augen hatte er ein waagerechtes schmales blaues Band in Stirnhöhe. Nase und Mund konnte man durchaus menschenähnlich nennen.
Aber das Auge war das auffälligste an diesem Wesen. Und es blickte ihn gerade in die Augen, wie es schien. Langsam nahm er wieder etwas von seiner Umwelt wahr. Hinter ihm hörte er das Geschrei der Polizisten, die sich näherten. Aber das Geschehen vor ihm war viel informativer. Der Außerirdische vor ihm war nicht der Einzige, der mit dem UFO gelandet war. Etwa sechs andere lagen rund um das UFO herum. Er konnte es gut durch die Teleskopbeine des UFOs sehen. Sie rührten sich nicht.
Für ihn begann die Zeit stillzustehen. Seine Denkprozesse liefen plötzlich viel schneller ab. Es war auf einmal sonnenklar, was hier passierte. Das UFO, das schon seit längerer Zeit die Erde umkreist haben musste, war langsam in die Atmosphäre eingedrungen und hier auf dem Rathausplatz gelandet. Dass zu diesem Zeitpunkt nur wenige hundert Meter eine Demonstration stattfand, konnten sie nicht wissen. Auch nicht mit der panischen Angst der Bevölkerung. Die anwesenden Polizisten waren ebenso von der Panik angesteckt worden, wie die normalen Besucher der Stadt. Als die Außerirdischen aus ihrem UFO ausstiegen, hatten sie die Nerven verloren und geschossen.
Sechs von ihnen hatten getroffen. Davon konnte er sich überzeugen. Der einzige Überlebende stand jetzt vor ihm. Unbewaffnet! Ohne es wirklich zu begreifen, reagierte er plötzlich. Die Zeit stand für ihn immer noch still, als er losrannte. Kurz bevor er den Außerirdischen erreichte, spürte er einen scharfen Luftzug neben seiner Hüfte vorbeiziehen. Als er den Knall des Schusses hörte, sah er bereits, wie der Außerirdische vor ihm getroffen wurde und langsam zu Boden sank. Er erreichte ihn, als er halb gefallen war. Fing ihn mit beiden Armen auf und rannte, trotz des Gewichtes des Außerirdischen, in der gleichen Geschwindigkeit auf die blutrot leuchtende Öffnung des UFOs zu. Er rannte die Rampe hinauf, wobei sein Blick auf eine flackernde Platte fiel, als er einen scharfen Schmerz im linken Bein spürte.
Kurz hinter der flackernden Platte ließ er das Wesen zu Boden gleiten, drehte sich um und schlug auf die Platte. Mit der gleichen Drehung drehte er sich weiter und wandte sich wieder dem Wesen zu. Bückte sich, spürte dabei einen weiteren Luftzug über seinen Rücken huschen, nahm das Wesen wieder in die Arme und lief auf den hellen Schacht zu, der vor ihm lag.
Während sich die Öffnung schnell verkleinerte, hörte er plötzlich, die Sirenen der Stadt aufheulten. Er wusste sofort, was das bedeutete. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Die Vorwarnzeit für einen Atomalarm lag bei zehn bis zwanzig Minuten. Ohne weiter nachzudenken, trat er unter die Schachtöffnung und wurde sanft nach oben gezogen. Am oberen Ende des Schachtes wurde er an den Rand hinausgedrückt. Er befand sich in der Steuerzentrale des UFOs. Vor ihm standen sieben Sessel vor einem Instrumentengürtel. Darüber befand sich eine Scheibe, durch die man auf den Rathausplatz hinaussehen konnte. Von außen war die Scheibe aber nicht zu sehen gewesen. Er setzte das fremde Wesen vorsichtig in einen der Sessel und setzte sich ebenfalls in einen. Es schien der Kommandantensessel zu sein, falls diese Wesen überhaupt eine Rangordnung kannten.
Jedenfalls war dieser Platz etwas Besonderes, denn er stand etwas vorgerückt und die Instrumente waren halbkreisförmig um ihn herumgezogen. Von den Knöpfen und Beschriftungen verstand er überhaupt nichts. Aber ihm blieben nur noch wenige Minuten und sein Überlebenswille war stark. Bei einem Blick durch das Fenster sah er die Panik der Bevölkerung in der Stadt. Die Menschen wussten, was die Sirenen ankündigten. Von einem geordneten Rückzug in den Bunker, der nur hundert Meter entfernt war, konnte keine Rede sein. Zudem war er auch noch geschlossen, wie er die Menschentraube entnehmen konnte.
Er wandte sich wieder den Instrumentenpulten zu. Bewusst zwang er sich dazu, alle Dinge außer den Instrumenten zu vergessen. Irgendwie musste er das UFO starten bevor die Atombombe viel. Warum sie fiel, war ihm inzwischen auch schon klar geworden. Das landende UFO war geortet worden und jede Seite, Ost und West, hatte es als anfliegende Atomrakete der Gegenseite identifiziert. Die Militärcomputer interessierten sich nicht für den Irrtum der Menschen, die sie bedienten. Sie reagierten einfach nach Programm und handelten.
Nach einiger Zeit erkannte er, dass die einzelnen Knöpfe und Schalter in einem Muster geordnet waren. Aber was gehörte wozu? Ein einzelner Hebel schien das gesamte Pult einzuschalten. Sollte er es wirklich wagen?
Alle anderen Pulte erloschen, als er den Hebel umlegte. Nur seines nicht. Nach und nach begriff er, dass die grundlegenden Systeme des UFOs sich in dem Muster vor ihm widerspiegelten. Diese Tasten dort mussten für die Triebwerke sein. Es waren zwei, wie er feststellte. Dort lagen die Schalter der Klimaanlage oder Ähnliches. War im Augenblick auch vollkommen egal. Irgendetwas musste er jetzt tun. Die Zeit schien plötzlich zu rasen, als er einfach nach Gefühl zwei Tasten drückte und einen Schalter umlegte, der irgendetwas mit dem Antrieb zu tun haben musste. Jedenfalls befand er sich gleich neben diesem Schaltmuster, das anscheinend für die Triebwerke da war. Irgendwo unter ihm erwachte eine Maschine und begann leise zu brummen. Dann gab es einen fürchterlichen Ruck und vor ihm verschwand alles.
Als die Schwärze wieder verschwand, erstarrte er unwillkürlich. Vor ihm befand sich der Weltraum und sonst gar nichts. Das einzige sichtbare waren die Kontrollpulte mit ihren Anzeigen und Tasten, Hebeln und Schaltern. Er brauchte rund zwei Stunden, um mit der Tatsache fertig zu werden, dass er das UFO wirklich gestartet hatte. Oder war er bereits Tod und träumte das nur? Als er sich wieder beruhigt hatte, erhob er sich von seinem Sessel und versuchte in dem Halbdunkel den Sessel zu finden, in dem er das fremde Wesen gesetzt hatte. Es befand sich noch immer dort. Irgendwie fand er das beruhigend. Es hatte eine blutende Wunde im Körper, die sich aber schon geschlossen hatte. Allerdings regte sich das Wesen nicht. Ob es bereits Tod war?
Er setzte sich wieder in seinen Sessel und überlegte, was er denn nun tun sollte. Warum war er überhaupt hier? In seinen Träumen hatte er solch eine Situation niemals erlebt. Jetzt im Nachhinein war seine Handlungsweise idiotisch gewesen. Oder nicht? Sie hatte ihm das Leben gerettet. Aber was sollte er nun damit anfangen? Er war mit diesem UFO gestartet ohne richtig zu wissen wie. Jetzt befand er sich irgendwo im Weltall. Die Erde musste doch noch irgendwo in der Nähe sein. Durch das Fenster konnte er sie nicht sehen, obwohl es um das ganze UFO herum führte. Er brauchte nur seinen Sessel zu drehen. Auch über ihm war sie nicht zu entdecken. Vielleicht befand sie sich unterhalb des UFOs. Dorthin konnte er nicht sehen. Er musste das UFO irgendwie drehen. Aber wie ging das?
Sein knurrender Magen lenkte ihn ab. Er hatte seit heute Mittag nichts gegessen. Wie spät war es eigentlich? Seine Armbanduhr zeigte ein Uhr sechzehn an. Kurz nach ein Uhr nachts! Dann hatte seine Bewusstlosigkeit ganz schön lange gedauert. Kein Wunder, das er jetzt Hunger hatte. In seiner Umhängetasche musste noch ein Apfel liegen. Als er sich umsah, bemerkte er, dass seine Tasche nicht da war. Er bekam einen Schreck. Seine Bücher. Er hatte seine Bücher verloren. Vielleicht lag die Tasche noch unten, gleich hinter dem Eingang. Hatte er sie dort nicht verloren, als er das Wesen dort niederlegte, um das Tor zu schließen?
Der Schacht leuchtete immer noch, sodass er ihn ohne große Suche fand. Aber wie kam er jetzt nach unten? Der Schacht führte durch das ganze UFO, war also etwa zehn Meter tief. Er war heraufgeschwebt. Vielleicht konnte man auch hinabschweben. Es gab bei der ganzen Sache nur ein Hindernis. Er war nicht schwindelfrei. Er versuchte es zwar, aber näher als einen Meter wagte er sich nicht an den Schacht heran. Also setzte er sich wieder in seinen Sessel und ignorierte sein Hungergefühl.
Auf dem Pult vor ihm gab es mehrere Anzeigen. Einige davon bewegten sich und zeigten ihm vollkommen unverständliche Zeichen an. Andere sagten ihm überhaupt nichts. Es gab da aber eine Anzahl von Tasten, immer paarweise, die irgendwie mit dem Triebwerk zusammenhingen. Er drückte einfach eine von diesen Tasten. Die Lichtpunkte hinter dem Fenster wurden plötzlich langsamer. Plötzlich begriff er. Im Weltall herrschte das Prinzip, Aktion gleich Reaktion. Als er gestartet war, hatte das UFO beschleunigt, was es wahrscheinlich immer noch tat, denn er hatte die Tasten nach dem Start nicht mehr angerührt. Im Weltall herrschte auch Vierdimensionalität. Länge, Breite und Höhe plus Zeit. Durch seinen Tastendruck hatte er irgendein kleineres Triebwerk in Betrieb genommen, das nur vielleicht nur einen Gasstrahl oder was auch immer in das Weltall strömen ließ. Dadurch wurde eine der drei Bewegungsrichtungen verlangsamt.
Er drückte die gleiche Taste noch einmal und nichts passierte. Genau so sollte es auch sein. Die zweite Taste, neben der ersten würde genau den gegenteiligen Effekt haben. Soweit so gut. Ein klein wenig hatte er bereits begriffen. Als Nächstes sollte er die zwei Tasten und den Hebel betätigen, der seinen Start eingeleitet hatte. Er tat es. Wieder passierte nichts, außer, dass es plötzlich still wurde. Die Maschine, die sich beim Start eingeschaltet hatte, beendete ihre Arbeit. Als Nächstes betätigte er die paarweise angeordneten Tasten und sah dabei durchs Fenster. Nach und nach schaffte er es, dass die Lichtpunkte zur Ruhe kamen. Natürlich machte er einige Fehler, wobei ihm jedes Mal ein flaues Gefühl überlief, aber er schaffte es schließlich. Ein paar der Anzeigen waren inzwischen zum Stehen gekommen. Sie mussten mit seinen betätigten Tasten zusammenhängen.
Schweißgebadet stand er auf. Ihm war plötzlich flau geworden. Außerdem wurde ihm übel. Unwillkürlich wollte er zum Klo, als ihm wieder klar wurde, wo er sich eigentlich befand. Das erhöhte noch sein Unbehagen und würgend übergab er sich auf den Fußboden. Mit zitternden Knien hielt er sich an der Sessellehne fest und holte würgend Luft. Als nichts mehr im Magen war, wischte er sich mit einem Tempotaschentuch das Gesicht trocken und setzte sich in den erstbesten Sessel. Ein Summen, das plötzlich zu hören war, erregte seine Aufmerksamkeit. Eine kleine runde Scheibe schwebte über den Fußboden auf den Haufen Erbrochenes zu. Erstaunt sah er zu, wie die Scheibe über den Haufen schwebte und es anscheinend irgendwie aufsaugte. Er blickte erst wieder auf, als die Scheibe schon wieder lange verschwunden war. Etwas peinlich berührt sah er zu dem Wesen im anderen Sessel hinüber. Es regte sich immer noch nicht. Dafür meldete sich jetzt seine Blase. Sollte er? Er drehte den Sessel mit dem Wesen etwas herum und begab sich zum anderen Ende des Raumes. Als die Scheibe erneut verschwunden war, atmete er erleichtert auf.
Im Sessel sitzend betrachtete er das Weltall und überlegte, was er nun tun könnte. Dass ihm die Augen immer wieder zufielen, merkte er erst im Nachhinein, als er erfrischt aus dem Schlaf erwachte. Kurz nach neun Uhr war es auf seiner Armbanduhr. Sein Hungergefühl war noch stärker geworden. Aber der Apfel lag immer noch zehn Meter tiefer.
Er begann wieder damit, sich das Pult zu betrachten. Dass er dafür mehrere Stunden brauchte, fiel ihm gar nicht auf. Er hatte etwas entdeckt. Ein paar Tasten schienen zu einem Triebwerk zu gehören, das er noch nicht benutzt hatte. Soweit er herausfand, musste er dazu aber irgendetwas eingeben, um es überhaupt in Betrieb nehmen zu können. Damit viel dieses Tastenmuster auf dem Pult natürlich flach. Was wusste er schon von diesen Symbolen? Nach und nach betrachtete er sich ein Teilmuster nach dem anderen und erkannte bald das System, nachdem es angeordnet war. Er wusste jetzt, wo welche Taste, für welche Funktion im UFO zu finden war. Allerdings konnte er nicht wissen, ob auch das eintrat, was er sich erhoffte. Er würde es ausprobieren müssen. Aber erst einmal sah er zu, dass er so viel wie möglich begriff.
Das UFO bewegte sich immer noch durch das Weltall. Woher war es eigentlich gekommen? Der nächste Stern war rund vier Lichtjahre entfernt. Selbst bei einfacher Lichtgeschwindigkeit würde die Besatzung irgendwo auf dieser Reise verhungern, denn Lebensmittel sah er nirgends. Konnte natürlich sein, dass es noch andere Räume gab. Suchen würde er danach vorerst aber nicht. Der Schacht schreckte mit seiner Tiefe immer noch ab. Vielleicht sollte er sich erst einmal um dieses fremde Wesen kümmern. Es saß immer noch so im Sessel, wie er es hineingesetzt hatte. Die Wunde blutete nicht mehr, wie er schon festgestellt hatte. Das war aber auch schon alles. Kleidung trug dieses Wesen nicht. Es brauchte wohl keine.
Ein Funkeln an einem der Armtentakel erregte seine Aufmerksamkeit. Das Wesen trug eine Kette um das Tentakelarmgelenk, oder wie auch immer man es bezeichnen sollte. Es ließ sich leicht abstreifen. Als er es sich genauer ansah, konnte er irgendwelche Symbole darauf entdecken. Ein Schmuckstück wahrscheinlich.
Als er das Armband oder die Kette noch einmal betrachtete, fiel ihm auf, das die Symbole, denen glichen, die in den Anzeigen auf dem Pult auch zu sehen waren. Er nahm das Kettenarmband mit zu seinem Sessel und hielt es neben einer solchen Anzeige. Es stimmte. Die Symbole waren die dieselben. Ob es Zahlen waren? Ihm viel auch auf, das auf dem Kettenarmband genau dreizehn Symbole waren. Genauso viele, wie in diesem Anzeigefeld das Er vorhin entdeckt hatte. Auch auf dem Tastenfeld unterhalb dieser Anzeige tauchten diese Symbole wieder auf. Vielleicht ein Eingabefeld? Es sprach alles dafür. Bevor er aber an diesem Triebwerk herumprobierte, hielt er es für besser, sich erst einmal mit den Triebwerken vertraut zu machen, die er bereits kannte.
Nach einigen Stunden hatte er das UFO so weit unter Kontrolle, das er es drehen und wenden konnte. Allerdings nur nach Sicht. Wahrscheinlich gab es aber Automatiken, die das UFO besser steuern konnten als er. Aber er konnte solche Dinge nirgends finden. Woher sollte er auch wissen, wie sie auszusehen hatten? Er war froh, dass er dieses UFO überhaupt etwas steuern konnte. Die restlichen Stunden verbrachte er damit, zu lernen, welche Taste wozu gehörte. Gegen halb zwei Uhr mittags konnte er zufrieden behaupten, das UFO im sehr begrenzten Umfang steuern zu können.
Er wusste jetzt, dass dieses UFO über drei verschiedene Triebwerke verfügte. Sechzehn Kleine, die der Lagesteuerung dienten. Das waren diese paarweise angeordneten Tasten. Dann das Haupttriebwerk, mit dem er anscheinend gestartet war. Und eines, das wahrscheinlich ein Triebwerk war, mit dem man zu den Sternen fliegen konnte. Außerdem konnte er ein paar Anzeigen einordnen, die zu den einzelnen Triebwerken gehörten. Dann gab es da noch ein paar Tasten, die zu irgendwelchen Waffen gehörten. Davon hatte er die Finger gelassen, als er plötzlich Lichtspuren durch das Fenster sehen konnte, die von dem UFO ausgingen.
Später sah er noch einmal zu dem Wesen rüber. Ob es Tod oder am Leben war, konnte er nicht feststellen. Da er Optimist war, nahm er das Zweite an. Vielleicht war es auch nur die Hoffnung, dass dieses Wesen erwachte und ihn wieder nach Hause brachte.
Nachdem er sich zurückgelehnt hatte, tippte er die Symbolfolge von dem Kettenarmband in die Anzeige des Sternentriebwerkes, wie er es genannt hatte, ein. Ganz wohl war ihm dabei aber nicht. In den letzten Stunden war er hin und her geflogen, um vielleicht irgendwo in der Dunkelheit des Weltalls die Erde als Lichtpunkt zu sehen. Aber nicht einmal die Sonne war zu sehen gewesen. Wahrscheinlich war er schon viel zu weit aus dem Sonnensystem herausgetragen worden. Seine einzige Hoffnung war jetzt das Kettenarmband des Wesens mit den Symbolen darauf. Er hoffte, dass es die Koordinaten des Sonnensystems des fremden Wesens war. Wozu sollten sie denn sonst da sein? Vor dem letzten Tastendruck, der wahrscheinlich das Triebwerk auslösen würde, zuckte er zurück. Wenn er es tat, gab es kein Zurück mehr. Gab es denn jetzt ein zurück zur Erde? Mehrere Minuten lang war er unschlüssig, was er jetzt tun sollte.
Dann drückte er die Taste nieder. Das Fenster wurde plötzlich bunt und irgendwo unter ihm rumorte eine weitere Maschine. Es schien funktioniert zu haben. Eine Anzeige des Pultes veränderte sich rasend schnell. Eine Entfernungsangabe? Wenn ja, worauf bezog sie sich? Eine halbe Stunde lang saß er angespannt in seinen Sessel. Es passierte nichts. Anscheinend würde dieser Flug ins irgendwo länger dauern. Er stand auf, obwohl er sitzen bleiben wollte. Aber seine Blase drückte und so suchte er wieder die andere Seite des Raumes auf.
Als er wieder zu seinem Sessel zurückkehrte, sah er sich das fremde Wesen noch einmal an. Ihm war so, als ob es sich eben bewegt hatte. Vorsichtig hielt er eine Hand vor dem Mund des Wesens und spürte einen leichten Luftzug. Es atmete.
Etwas beunruhigt und nervös setzte er sich wieder in seinen Sessel und wartete. Das Fenster war immer noch bunt. Es war anzunehmen, dass sich das UFO nicht mehr durch den Einsteinraum bewegte, wie man den Weltraum auch nennen konnte. Im Weltall war die größte Geschwindigkeit die des Lichtes. Wenn sich dieses UFO aber mit Lichtgeschwindigkeit bewegen würde, wäre das Fenster nicht bunt, sondern Schwarz mit weißen Lichtstreifen. Es war aber bunt, wie er sehen konnte. Das UFO bewegte sich also schneller als das Licht. Das konnte es aber im normalen Einsteinraum nicht tun. Gab es also diesen Hyperraum, von dem viele Science Fiktion Schriftsteller schrieben? Anscheinend ja. Schließlich gab es ja auch UFOs und fremde Wesen.
Das Wesen neben ihm im Sessel bewegte sich jetzt. Es schien aber immer noch kraftlos zu sein. Ob es die Augen aufhatte? Augen, wie er sie hatte, besaß das Wesen nicht. Nur dieses bläuliche Band. Konnte es ihn sehen? Es schien so. Er konnte sehen, wie es versuchte, seine Tentakelarme zu bewegen. Wollte es irgendetwas mitteilen?
«Hallo.»
Es sah so aus, als ob es ihn gehört hatte. Die Bewegungen des Wesens wurden etwas aufgeregter. Aber es war zu schwach um sich aus dem Sessel zu erheben. Er berührte leicht einen der Tentakelarme des Wesens, um ihn über diesen Kontakt mitzuteilen, dass er harmlos war. Vielleicht verstand es ja diese Geste.
«Kannst Du mich hören.»
Eigentlich blödsinnig, dass er mit dem Wesen sprach. Es konnte ihn mit Sicherheit nicht verstehen. Inzwischen war schon fast eine weitere halbe Stunde vergangen, als das Wesen es schaffte, einen Tentakelarm zu heben, und erst auf das Fenster und dann auf sein Pult zeigte. Unzweifelhaft wollte es ihm irgendetwas mitteilen. Aber was? Er drehte sich wieder mit dem Sessel zu dem Pult hin. Gerade rechtzeitig.
Das Sternentriebwerk hörte plötzlich auf, zu rumoren. Der Flug war anscheinend zu Ende. Das Fenster flackerte und gleichzeitig hörte er einen merkwürdigen Ton von dem Wesen. Er drehte sich zu ihm hin und stellte fest, dass es wieder bewusstlos oder bereits Tod war. Er drehte sich wieder dem Pult zu, als das Innere des UFOs plötzlich rötlich aufschimmerte. Das Licht stammte von der Sonne, auf die das UFO zuflog. Oder flog er bereits hinein? Gefühlsmäßig würde er sagen, dass er viel zu nahe an der Sonne aus dem Sternenflug herausgekommen war. Gut, dass er viel über Astronomie gelesen hatte. Die Anziehungskraft der Sonne musste dieses UFO bereits in einer irren Geschwindigkeit anziehen. Er musste etwas dagegen tun, wenn er nicht mitsamt dem UFO verglühen wollte.
Mit Hilfe der kleinen Triebwerke drehte er das UFO so herum, dass die rote Sonne hinter ihm durchs Fenster schien. Dann drückte er wieder die Tasten, die das Haupttriebwerk in Betrieb setzten. Eine Anzeige auf dem Pult veränderte sich schon etwas langsamer als vorher. Er war also auf dem richtigen Weg. Aber es schien immer noch nicht zu reichen, denn der rote Sonnenball hinter ihm wurde langsam immer größer. Ob man die Leistung des Triebwerks noch erhöhen konnte? Vielleicht gab es einen Drehknopf oder Schieber auf dem Pult. Er fand gleich vier Schieber. Welchen sollte er benutzen? Da ihm kaum eine andere Wahl blieb, versuchte er es mit dem Schieber, der am nächsten an den Tasten für das Triebwerk lag. Es wurde merklich lauter im UFO, als er den Schieber bis zum Anschlag weiter schob. Gleichzeitig wurde er in den Sessel gepresst.
Es funktionierte. Die Leistung des Triebwerks hatte sich verbessert und die Andruckkräfte, die sonst von irgendeiner Maschine absorbiert worden waren, schlugen nun teilweise durch. Aber die Anzeige auf dem Pult veränderte sich schon langsamer. Er brauchte noch mehr Geschwindigkeit, denn er wurde immer noch von der Sonne angezogen.
Die kleinen Triebwerke. Viel half es ja nicht aber besser als gar nichts. Schweißtropfen perlten ihm inzwischen von der Stirn. Teilweise aus Angst und aus der Hitze, die plötzlich herrschte. Was sollte er jetzt tun? Die Waffen. Aktion gleich Reaktion. Die Rückstoßkraft der Waffenstrahlen konnte er auch noch als Antrieb benutzen. Er musste sie nur nach hinten ausrichten können. Aber wie ging das? Konnte man sie überhaupt bewegen oder waren sie starr eingebaut? Er konnte nur ausprobieren. Wo die entsprechenden Tasten für die Waffen zu finden waren, wusste er ja bereits. Er drückte einfach eine von den rechteckigen Platten ein und durch das Fenster waren die Strahlen der Waffen zu sehen. Allerdings strahlten sie alle in verschiedenen Richtungen. Durch Drücken verschiedener anderer Tasten in der Nachbarschaft bewegten sie sich plötzlich. Nach und nach schaffte er es, sie in einem Punkt hinter ihm, in Richtung Sonne, zu bündeln. Außerdem befand sich jetzt ein Bild auf dem Fenster. Ein Außerirdischer wie der neben ihm im Sessel sitzende war zu sehen. Es schien ihn ebenfalls zu sehen. Aber darum konnte er sich im Augenblick nicht kümmern. Er beobachtete gespannt die Anzeige auf dem Pult. Sie schien irgendeine Geschwindigkeitsanzeige zu sein. Oder war es eine Entfernungsanzeige? Auf jeden Fall veränderten sich die Symbole in ihr immer langsamer. Wahrscheinlich zeigte sie ihm die Geschwindigkeit an, mit der das UFO auf die Sonne zuflog. Dass sie jetzt immer langsamer wurde, war ein gutes Zeichen für ihn. Denn es bedeutete, dass wenn sich die Anzeige plötzlich anders herum bewegte, dass er die Anziehungskraft der Sonne überwunden hatte und sich, damit von ihr wieder entfernte. Aber noch war das leider nicht der Fall. Sie wurde zwar langsamer, blieb stehen, und bewegte sich dann in der gleichen Richtung weiter. Es reichte nicht. Die Sonne war kräftiger als die Triebwerke des UFOs.
Trotzdem versuchte er, noch irgendein Triebwerk auf dem Pult zu finden. Das Bild mit dem Wesen auf dem Fenster war noch immer da. Es schien ihn zu beobachten. Ob es seine Lage begriff? Seine Versuche hatten aber noch andere Ergebnisse zur Folge. Es erschienen noch andere Bilder auf dem Fenster. Diagramme. In der Mitte war ein Diskussymbol. Das konnte eigentlich nur sein UFO sein und vor ihm in Flugrichtung war ein weiteres Diskussymbol. Allerdings in Grün. Seines war schwarz. Es schien ein weiteres UFO zu sein. Ob von dort das Bild mit dem anderen Wesen herstammte? Hinter ihm auf dem Diagramm war eine rote halbrunde Fläche zu sehen. Die Sonne. Das Ganze musste ein Ortungssystem sein. Das half ihm nichts.
Damit blieb nur eine Möglichkeit übrig. Aber das war gefährlich. Schon deshalb, weil er überhaupt keine Ahnung hatte, worauf er zu achten hatte. Sterben wollte er aber auch nicht. Er blickte kurz zu dem Wesen neben ihm hinüber und stellte fest, dass es anscheinend wach war. Allerdings war es augenscheinlich zu schwach, um das UFO selbst zu steuern. Es sah nur still zu und blickte ab und zu auf das Fenster. Ob es mit dem Leben bereits abgeschlossen hatte? Wahrscheinlich. Er grinste kurz hinüber. Es gab irgendwelche Geräusche von sich. Natürlich verstand er es nicht, aber als er sich wieder nach vorne wandte, merkte er, dass es sich mit dem Wesen auf dem Fenster unterhielt. Es wurde Zeit, dass er seine Verzweiflungstat begann.
Langsam drehte sich das UFO herum. Er steuerte es jetzt genau auf den Sonnenrand zu. Was er vorhatte, war ein Swing-Bai-Manöver. Er würde mit großer Geschwindigkeit schräg auf die Sonne zufliegen und sich von deren Schwerkraft einfangen lassen. Wenn er Glück hatte, würde sich die bei diesem Manöver ergebende Geschwindigkeit größer sein als die Anziehungsgeschwindigkeit der Sonne. Man durfte nur nicht zu nahe an die Sonne heranfliegen. Außerdem würde es sehr heiß werden. Vielleicht schmolz sogar die Außenhaut des UFOs dabei. Aber etwas anderes konnte er jetzt nicht mehr tun. Es war seine letzte Möglichkeit.
Nach und nach wurde die Geschwindigkeit immer größer. Auch der Andruck verstärkte sich wieder. Die rote Sonne bedeckte jetzt bereits drei Viertel des Fensters. Man konnte schon fast sagen, dass er bereits in den Außenzonen der Sonnenatmosphäre flog. Die Temperaturen außerhalb des UFOs mussten mörderisch sein. Im UFO selbst wurde es ebenfalls heißer. Plötzlich begann das ganze UFO an zu vibrieren. Die Bilder auf dem Fenster flackerten bereits, verloschen aber nicht. Das Wesen auf dem Bild war noch immer zu sehen, und auf dem Ortungsbild, das immer noch zu sehen war, sah es so aus, als ob das zweite UFO ihm folgte. Allerdings in weiter Entfernung von der Sonne. Mittels der kleinen Triebwerke korrigierte er mehrmals den Flugkurs, wenn er das Gefühl hatte, der Sonne zu nahe zu kommen.
Das Wesen neben ihm gab nun ununterbrochen Geräusche von sich. Ob es eine Unterhaltung mit dem anderen Wesen war, oder eine Art von Todesgesang, konnte er nicht herausfinden. Auf jedenfalls war es am Leben. Fragte sich nur noch wie lange. Denn das UFO schien an der Grenze seiner Haltbarkeit anzukommen. Als die Vibrationen zu groß wurden, steuerte er es schräg von der Sonne weg.
Es schien zu funktionieren. Die Veränderungen in der Anzeige wurden rapide langsamer. Blieben plötzlich stehen und bewegten sich dann in die entgegengesetzte Richtung weiter. Er entfernte sich jetzt von der Sonne. Wohin jetzt?
Aufatmend lehnte er sich zurück. Sofort begann er, zu zittern. Schweißausbrüche und Übelkeit überfielen ihn wieder. War ja auch kein Wunder, nachdem was er bisher getan hatte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er endgültig zusammenbrechen würde. Allein die psychologische Belastung seiner Seele musste ihn zerbrechen. Die Landung der Außerirdischen auf dem Rathausplatz. Die Flucht vor dem Atomschlag und dann der Flug hierher. Und eben auch noch der nahe Tod in der Sonne. Ein Wunder, das er immer noch am Leben war.
Auf dem Ortungsbild wurde jetzt ein weiteres Symbol eingeblendet. Es lag ein wenig abseits von seinem Kurs. Er korrigierte den Kurs erneut und starrte angestrengt aus dem Fenster nach vorne. Nur Minuten später wurde ein hell strahlender Punkt sichtbar. Und er raste mit einer affenartigen Geschwindigkeit darauf zu. Er musste langsamer werden, wenn er nicht vorbeifliegen oder zerschellen wollte. Er drehte das UFO wieder und bremste mit dem Haupttriebwerk, das er vorhin ebenso wie die kleinen Triebwerke und die Waffenstrahlen wieder abgestellt hatte, ab. Er verfolgte mit, wie seine Geschwindigkeit immer langsamer wurde, bis plötzlich das Triebwerk ausfiel. Was war denn jetzt los? Es dauerte ein paar Sekunden bis ihm klar wurde, dass er jetzt keinen Treibstoff für das Haupttriebwerk mehr hatte. Wie sollte er denn jetzt landen? Mehrere Minuten lang verharrte er so im Schockzustand. Dann wusste er, was er tun konnte. Er würde genauso landen, wie es die amerikanischen Shuttles taten. Die Atmosphäre würde ihn bremsen. Hoffentlich. Das Wesen neben ihm war inzwischen still geworden. Es schien ihn aufmerksam zu beobachten.
«Ich werde uns schon irgendwie runterbringen.»
Es interessierte ihm im Augenblick nicht die Bohne, ob es das nun verstanden hatte oder nicht. Der Planet war nun wieder vor ihm zu sehen. Zum Abbremsen vorhin hatte er das UFO drehen müssen. Für das, was er jetzt vorhatte, brauchte er den Planeten in Flugrichtung.
Langsam wurde der Planet immer größer, während er mit den kleinen Triebwerken die Geschwindigkeit weiter senkte. Allerdings brachte das nicht viel. Inzwischen befand er sich über dem Planeten, der von dichten Wolken bedeckt war. Ein Rütteln sagte ihm, das er soeben die obersten Ausläufer der Atmosphäre berührt hatte. Aber seine Geschwindigkeit war noch zu groß und so prallte er regelrecht von der Luftschicht wieder ab. Zwischendurch sah er mal wieder auf das Ortungsbild und bemerkte eine ganze Anzahl von Diskussymbolen. Hier schien ein reger Verkehr zu herrschen.
Das UFO senkte sich erneut auf dem Planeten zu. Er war von der Schwerkraft des Planeten eingefangen worden. Genau das wollte er auch. Vorhin bei der Sonne war es unerwünscht gewesen aber hier genau richtig. Jetzt gab es nur noch einen Weg. Den nach unten. Der zweite Kontakt mit der Lufthülle war schon etwas heftiger und dauerte auch länger. Hinter sich konnte er einen langen Kondensationsschweif sehen. Durch den Luftwiderstand und der kleinen Triebwerke, die eigentlich nur zur Lagekorrektur im Weltall gedacht waren, wurde er langsamer. Nun musste er aufpassen, dass er nicht aus dem Gleitflug herauskam. Ein Diskus sollte eigentlich gut gleiten. Oder nicht? Ihm blieb sowieso nichts anderes mehr übrig, als es einfach auszuprobieren.
Es funktionierte besser, als er es erwartet hatte. Mit den Korrekturdüsen, mehr waren es ja nicht, hielt er den Diskus im Gleichgewicht. Schon bald war die Obergrenze der dichten Wolkendecke erreicht. Außerdem hatte er Begleitung bekommen. Drei weitere UFOs flogen hinter ihm her. Das verletzte Wesen neben ihm sprach anscheinend immer noch mit seinen Artgenossen auf dem Bild. Plötzlich wurde die Sicht schlechter. Er steckte jetzt mitten in der Wolkendecke. Nur nach dem Gefühl steuerte er weiterhin geradeaus. Bis plötzlich wieder freie Sicht auf eine für ihn alptraumhafte Planetenoberfläche herrschte. Ein schriller Ton von dem Wesen im Sessel neben ihm riss ihn aus dem Schock.
Automatenhaft suchte er eine freie Stelle in dieser Albtraumwelt zum Landen. Eine riesige freie Fläche tauchte vor ihm auf. Ein Raumhafen, auf dem viele verschiedene Raumschiffe standen. Allerdings gab es auch noch freie Strecken zwischen ihnen. Genau so etwas brauchte er jetzt. Vorsichtig zwang er das UFO in eine weite Kurve, wobei er fast die Kontrolle verlor, und setzte auf. Trotz der Bremsschübe der kleinen Düsen wurde es ein Höllenritt über eine kilometerweite Strecke. Nur durch ein Wunder kollidierte er nicht mit einem der zahlreichen anderen Raumschiffe. Irgendwann blieb sein UFO dann stehen. Ohne richtig zu überlegen, was er tat, hob er das verletzte Wesen aus dem Sessel und trat einfach in den Schacht. Langsam schwebte er nach unten. In der Schleuse berührte das Wesen leicht die Öffnungsplatte, worauf sich wieder eine Öffnung im UFO bildete. Torkelnd und psychisch am Ende ging er die Rampe herunter und legte das Wesen dort ab.
Dann viel er bewusstlos um.

Ende

Geschrieben von Andreas Blome