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Heimkehr

4 - Rückkehr

Eine zerstörte Heimat.

 

Das Raumschiff hatte den Planeten der Aliens verlassen. Er konnte es am großen Monitor sehen, der sich gleich nach dem Start eingeschaltet hatte. Er zeigte anfangs noch die Oberfläche des Planeten, mit dem falschen Stück der Innenstadt Bremens an. Nun jedoch, die mit Lichtpunkten gesprenkelte Dunkelheit des Alls. Der Raum, in dem er sich befand, füllte anscheinend das ganze Raumschiffsinnere aus. Abzüglich des Bereiches unter ihm. Im Unterschied zu dem Raumschiff, das ihn hergebracht hatte, gab es über ihm keinen weiteren Raum. Er saß auf dem einzigen Stuhl, vor einem Pult, über dem sich der große Monitor befand.
Was hatte das Alien noch gesagt? ‹Es wird dich automatisch heimbringen›. Er brauchte diesmal nicht steuernd eingreifen. Er betrachtete das Pult vor sich und fühlte den Kristall in der Hand. Der Kristall sollte Erkenntnisse über diese Senkenfresser enthalten. Was auch immer darunter zu verstehen war. Es schien sich dabei allerdings, um eine so große Gefahr zu handeln, dass die Aliens ihre Heimatwelt evakuierten. Und dieser Kristall sollte alles über diese Gefahr enthalten. Nur, wie holte man eigentlich Informationen aus einem Kristall heraus?
Das wenige, dass er über diese Gefahr wusste, waren zwei Begriffe. Senkenfresser und Senkensysteme. Mit Letzterem konnte eigentlich nur ein Sonnensystem gemeint sein. Dann wären Senken in einem Senkensystem, Planeten. Und diese Senkenfresser fraßen Materie, also die Senken, die Planeten. Daher wohl auch der Name. Es klang alles etwas wirr. Wie konnte man einen ganzen Planeten fressen? Aber es schien eine Tatsache zu sein, denn warum sonst evakuierten die Aliens ihre Welt? Schickten sogar Raumschiffe zu benachbarten Welten, um diese vor der Gefahr zu warnen?
Irgendwie musste er an den Inhalt des Kristalls herankommen. Warum gab es das Pult? Ihm war ein automatisch funktionierendes Raumschiff gegeben worden. Einen Stuhl zum Sitzen, einen Monitor zum Sehen, aber wozu ein Pult? Wobei, der Monitor auch schon zu viel war. Es sei denn, beides wurde benötigt. Es gab auf dem Pult nichts einzustellen. Keine Knöpfe oder Drehschalter. Nur eine kaum sichtbare Vertiefung in der Mitte. In der Form einer runden Senke. Jetzt wo es ihm auffiel, schien ihre Funktion eindeutig zu sein. Er legte den Kristall hinein. Sofort zeigte der Monitor etwas gänzlich anderes.
Schneegestöber. Rauschen, wie er es vom Fernseher her kannte, wenn der Sender durch atmosphärische Störungen nicht zu empfangen war. Zumindest noch in der Zeit, vor der Digitalisierung des Fernsehens. Er schob den Kristall etwas hin und her. Aber erst als er ihn auf eine der wenigen geraden Flächen legte, die er aufwies, ändert es sich. Der Monitor zeigte ein Bild, das von zahlreichen kleinen Bildern umgeben war. Während diese kleinen Bilder noch irgendwie verständlich wirkten, sah das bei dem zentralen Bild anders aus. Lauter Kreise, die allerdings ein gewisses Muster aufwiesen. Er musste dazu allerdings sehr genau hinsehen, denn die Darstellung war sehr kleingehalten.
Er betrachtete eines dieser Muster genauer und erkannte schnell, das es sich um ein Sonnensystem handeln musste. In der Mitte ein kräftiger Kreis, um den sich herum unterschiedlich viele kleinere befanden. Und sich auch teilweise bewegten! Die Karte schien sich permanent zu aktualisieren. Am unteren Rand der Karte zog sich eine gerade Linie zu einem der Kreise, die einem der zentralen Kreise umgaben. Nach seinen wenigen Kenntnissen im Bereich der Astronomie müsste es sich dabei, um einen Planeten mit hoher Schwerkraft handeln. Ansonsten machte die Bezeichnung Senkensystem keinen Sinn für ihn. Eine Sonne wies eine höhere Schwerkraft auf, als ein Planet. Und ein Sonnensystem konnte man sich als Schwerkraftsenke im Raum vorstellen.
Eines der kleineren Bilder am Rand zeigte, dass die Linie im Mittelpunkt eines Kreises endete. Die anderen Bilder zeigten andere Einzelheiten des großen Bildes. Anscheinend orientierten sich die Senkenwürmer anhand des tiefsten Punktes einer Senke. Seinem Verständnis nach, musste dies aber immer ein Sonnenmittelpunkt sein und nicht das Zentrum eines Planeten. Die kleinen Bilder zeigten allerdings, dass meist ein Planet das Ziel der Senkenwürmer war. Je Länger er darüber nachdachte, umso klarer wurde ihm das Gezeigte. Senkenwürmer bewegten sich von Senke zu Senke durch die Milchstraße. Wobei sie anscheinend die ganz tiefen Senken mieden, denn diese führten fast immer zum Mittelpunkt einer Sonne. Die dortigen Verhältnisse würde wohl kaum ein Senkenwurm überstehen.
Was ihm nicht klar wurde, wo sich dieser Kartenausschnitt himmelstechnisch befand. Er war kein Astronom. Allerdings anzunehmen, dass die Erde auch auf dieser Karte zu sehen war. Er nahm den Kristall aus der Mulde und der Monitor zeigte wieder den dunklen Weltraum außerhalb des Raumschiffs. Er hielt den Kristall hoch und sah ihn sich genauer an. Es gab noch vier weitere gerade Flächen an ihm. Sonst zeigte er eine sehr unebene Oberflächenbeschaffenheit. Er legte ihn wieder in die Mulde zurück. Auf eine der anderen geraden Flächen. Der Monitor zeigte eine violette Röhre, neben der zahlreiche Zeichen tabellarisch angeordnet waren. Eine weitere Fläche des Kristalls zeigte eindeutig eine Planetenoberfläche. Tiefe Furchen durchzogen sie, an dessen Grund es violett schimmerte. Der Bildausschnitt entfernte sich immer weiter von der Oberfläche, so dass er immer mehr von diesem Planeten sah. Die Furchen wurden so zahlreich, dass die einstige Planetenoberfläche nicht mehr zu erkennen war.
Da er aber auch nicht wusste, wie sie auszusehen hatte, wäre es eh sinnlos. Als der Planet in seiner Gänze zu sehen, zeigte sich, dass er keine Kugelgestalt mehr aufwies. Der Monitor zeigte anschließend einen Schnelldurchlauf, in dem der Planet immer mehr von einer Form verlor und in der Dunkelheit verschwand. Kurz vor dem Verschwinden zeigte sich an seiner statt, eine kleine in Violett wimmelnde Kugel. Dann verschwand auch diese. Wenn er sich nicht ganz irrte, müssten es sich dabei, um den Schwarm der Senkenwürmer gehandelt haben.
Die anderen geraden Flächen des Kristalls, zeigten weitere tabellarische Symbole auf. Er verstand nun, warum die Aliens ihre Welt evakuierten. Gegen diese Gefahr gab es anscheinend nur die Möglichkeit einer Flucht. Und sie bedrohte anscheinend auch seine Heimat. Er stand auf und ging ruhelos hin und her. Sein Herflug hatte etwa anderthalb Tage gedauert. Schlaf würde er nicht finden, dazu war er zu nervös. Ihm stand eine lange Wartezeit bevor.
Ein kleines Rumpeln weckte ihn auf. Er hatte Stunden lang die tabellarischen Symbole des Kristalls angesehen und darüber nachgedacht. War aber zu keinen weiteren Ergebnis gelangt. Die darin verborgene Information war anscheinend etwas für Wissenschaftler. Ein Gutes hatte die Beschäftigung allerdings gehabt. Er war müde geworden und zuletzt war er eingeschlafen. Als er sich vom Boden aufrichtete öffnete sich das Raumschiff und die Rampe fuhr aus. Kühle Luft strömte herein. Sie brachte den Geruch nach Verbranntem mit herein. Aber sie roch vertraut. Schnell verließ er das Raumschiff und wusste sofort, das er wieder auf seiner eigenen Welt war. Nur wo genau? Gestartet war er auf dem Marktplatz seiner Heimatstadt. Dort, wo das Raumschiff der Aliens gelandet war. Nun befand er sich sozusagen im Grünen, auch wenn er nichts Pflanzliches um sich herum entdecken konnte. Nur grauer Staub, der durch die Luft schwebte.
Aber irgendwie kam ihm die Umgebung vertraut vor. Er war schon einmal hier gewesen. Er begann, um das Raumschiff herumzulaufen, und fiel dabei ins Wasser. Es war nicht tief, etwa bis zur Hüfte, aber es war kalt. Ein Fluss. Gesehen hatte er ihn nicht, da er von einer dichten Staubschicht bedeckt war. Er kletterte zurück ans Ufer. Die Wasseroberfläche, war durch sein Hereinfallen in Bewegung geraten und zeigte ihm, dessen Verlauf. Auf der gegenüberliegenden Flussseite erhoben sich einige Bäume. Ebenfalls dicht bedeckt mit grauen Staub. Er sah sich um und suchte eine weitere Erhebung am Horizont. Eine nicht Natürliche. Und er entdeckte sie. Eine kleine turmähnliche Erhebung. Der Aussichtsturm aus Holz. Nun wusste er, wo er sich befand. Am Wümmeufer im Blockland, nahe dem Ortsteil Borgfeld. Auf dem Holzturm hatte er schon gestanden und hier am Ufer der Wümme schon gepicknickt.
Nun sah allerdings alles anders aus. Es musste etwas sehr Gravierendes passiert sein. Er erinnerte sich an das Aufheulen der Sirenen, kurz bevor er vor dem Schütting auf die gelandeten Aliens und ihr Raumschiff traf. Die Sirenen teilten der Bevölkerung mit, dass eine Katastrophe eingetreten war. In Verbindung mit dem Raumschiff, das vorher noch die Erde umkreist hatte und dann gelandet war, konnte es nur ein Atomalarm gewesen sein. So wie es nun aussah, war der dann auch ausgelöst worden. Der herumschwebende Staub war eines der Ergebnisse eines Atomschlags. Aufgewirbelte Erde, zerstäubte Gebäude, aufgelöste Menschen, Tiere und Pflanzen.
Den einstigen Weg zum Aussichtsturm, fand er nur schwer. Einziger Anhaltspunkt war eine kleine Brücke zwischen zwei Bäumen. Sie gab es noch und er überquerte sie. Folgte dem unsichtbaren Weg geradewegs auf den Wümmedeich hinauf. Vom Deich aus, konnte er ein etwas weiteres Umfeld betrachten. Alles in Grau. Je weiter er dem Deich folgte, der ihn in den Ortskern von Borgfeld führen würde, je mehr Einzelheiten nahm er wahr. Ein kurzer Blick zurück zum gelandeten Raumschiff bestätigte seine Vermutung, das es nie wieder starten würde. Es würde gebraucht werden, um den Kristall auszulesen. Daher wohl auch die spartanische Ausstattung.
Eine Bewegung in der Ferne hob sich aus dem Grau heraus. Etwas bunt schillerndes war zu erkennen. So etwas hatte er noch nie gesehen, wusste aber sofort, um was es sich handeln musste. Um einen Senkenfresser. Sie waren also schon hier. Seine Bewegung hörte auf, nachdem er an die Oberfläche gelangt war. Dann verschwand seine schillernde Farbe und er blieb als reglose graue Röhre liegen. Ob er gestorben war?
Einen weiteren Leichnam entdeckte er zeitgleich mit dem ersten zerstörten Gebäude. Ersterer war nur schwer zu erkennen, da er sich nur als kleine Erhebung im grauen Umfeld zu erkennen gab. Es war die Form des menschlichen Körpers, die ihn sichtbar machte. Das Gebäude, ein Wohnhaus, besaß kein Dach mehr. Auch Fenster und Türen fehlten. Vielen Bäumen im Umfeld fehlten die Kronen oder waren gänzlich umgefallen. Die Wucht der Explosion, die sich wohl über der bremer Innenstadt ereignet hatte, war selbst hier, einige Kilometer vom Stadtkern entfernt noch sehr heftig gewesen. Er fühlte zum ersten Mal seit seiner Rückkehr, angst in sich aufsteigen. Nicht nur, weil er bereits dem Tod geweiht war durch die radioaktive Strahlung, sondern auch, weil alles was er kannte und seine Welt bildete, nun nicht mehr existierte.
Er sah den Kristall der Aliens in seiner Hand an. In ihm enthalten, das Wissen um eine Gefahr, die ganze Planeten auslöschte. Nutzlos nun. Denn die Menschen brauchten dieses Wissen nicht mehr. Sie hatte ihre Auslöschung selbst getätigt. Sie den Senkenwürmern abgenommen. Wobei - einen Unterschied gab es. Die Menschen hatten sich weitesgehend nur selbst ausgelöscht. Viele Insekten würden diesen Atomschlag überleben. Er hatte früher zahlreiche Fernsehberichte darüber gesehen und auch einige Bücher zu diesem Thema gelesen. Es gab immer Überlebende einer Katastrophe. Senkenwürmer jedoch nahmen zusätzlich noch die Basis des Lebens, den Planeten selbst, weg.
Am Beginn der zweiten Straßeneinmündung links, blieb er stehen. Dieser Straßenabhang vom Deich hinunter, war ihm gut bekannt. Er hatte als Kind hier gespielt. Er blieb stehen. Geschockt vom Anblick den Deich hinunter. Das Haus, in dem er einst lebte, nebst des Nachbarhaus, in dem seine Großmutter gewohnt hatte, direkt hier an der Straßenecke, war bis auf die Grundmauern hinunter zertrümmert. Wie jedes weitere Haus, das er sehen konnte. Auch wenn er schon seit Jahrzehnten hier nicht mehr wohnte, es tat ihm weh, all dies zerstört vor sich zu sehen. Als er weitergehen wollte, stockte er.
Es war im Grunde sinnlos weiterzugehen. Wohin wollte er denn? Nach Hause - natürlich. Aber sein Haus würde nicht mehr existieren. Es lag noch näher am Explosionsort, der sich seiner Einschätzung nach, wohl über dem Flughafen befunden hatte. Nicht nur der existierte nicht mehr, sondern auch die Innenstadt. Selbst hier, am entgegengesetzten Randgebiet, war die Zerstörungswucht der Druckwelle deutlich sichtbar. Niemand hatte überlebt. Kaum ein Gebäude stand noch. Es war sinnlos weiterzugehen. Er setzte sich auf den Boden, wobei sein Blick auf eine Wasserpfütze fiel. Er erinnerte sich, dass er als Kind in solch einer Pfütze, genau hier an der Straße, seine Brille geputzt hatte. Das lag Jahrzehnte zurück und hatte mit der heutigen Pfütze natürlich nichts zu tun. Es gab aber noch immer die Erinnerung an solch eine Pfütze, genau an diesem Ort, in ihm.
So wie seit Kurzem auch die Erinnerung an die Innenstadt Bremens. Die nun real nur noch als Kopie weit weg existierte. Es sei denn die Aliens hatten den Bremen-Zoo abgebaut. Aber das erschien ihm eher unwahrscheinlich, da die Aliens ihre Welt ja verließen. Warum auf der Flucht noch zusätzliche Zeit für einen Abbau verschwenden. Obwohl sie Zeit für einen Aufbau aufgewendet hatten. Aber da hatten sie einen Grund in seiner Person gehabt.
Die Erde musste dem Schwarm der Senkenwürmer näher sein, als die Welt der Aliens. Einen Senkenwurm hatte er vorhin gesehen. Bewegungslos an der Erdoberfläche. Was ungewöhnlich war, denn die Daten aus dem Kristall hatten gezeigt, die sie sich immer von Senke zu Senke durch das Universum bewegten. Und eine Senke war bei einem Planeten immer dessen Mittelpunkt. Nur zum Ende eines Planeten hin, wurden Senkenwürmer als Gewimmel an dessen Oberfläche sichtbar. Warum hatte er den Verdacht, dass dieser Senkenwurm wirklich gestorben war?
Ihm fiel ein, was das Alien ihm vor seiner Rückkehr erzählt hatte. Es hatte von einer Strahlentechnik gesprochen, die sie gegen die Senkenwürmer einsetzten. Einer hochentwickelten Technik, die es so auf der Erde noch nicht gab. Immerhin konnten die Aliens damit ihre Raumschiffe von einem Sonnensystem zum nächsten bewegen. Ganz ohne gravitionelle Auswirkungen auf deren Insassen. Wie auch immer das funktionieren sollte. Ihre hochentwickelte Strahlentechnik half ihnen allerdings nicht, den Schwarm der Senkenwürmer aufzuhalten. Ihnen blieb nur die Flucht.
Er blickte die Straße zurück. Den anscheinend leblosen Senkenwurm konnte er von hier aus nicht sehen. Aber die Tatsache, dass er Tod inmitten der Wümmewiesen lag, bewies etwas. Nämlich, dass es etwas gab, das Senkenwürmer sterben ließ. Er brauchte nicht lange, um dessen Todesursache herauszufinden. Es war offensichtlich, denn aus demselben Grund würde auch er bald sterben. Im Grunde genommen hatte sein Sterben schon begonnen, als er das Raumschiff der Aliens verlassen hatte.
Interessanterweise war es eine Strahlungsart, die Senkenwürmer sterben ließ. Eine Art, die die Aliens nicht nur längst hinter sich gelassen hatten, sondern auch nicht einsetzten. Nur primitivere Arten der Intelligenz setzten sie frei. Nicht einmal unwissentlich. Beispielsweise bei einer Atomexplosion. So wie hier nun.
Radioaktivität. Eine tödliche Strahlungsart für viele Lebensformen. Anscheinend auch für Senkenwürmer. Warum waren die Aliens nicht darauf gekommen? Er hatte eine leise Ahnung. Die Tatsache, dass sie auch benachbarte Lebensformen vor dem Schwarm der Senkenwürmer warnten, sagte eigentlich schon alles darüber aus. Sie waren bereits so weit fortgeschritten in ihrer technischen Entwicklung, dass sie deren Anfänge nicht mehr einsetzten. Zum Erhalt ihrer Umwelt. Aus diesem Grund warnten sie auch benachbarte Lebensformen vor der nahenden Gefahr. Sie sorgten sich mehr um Lebensformen, als das sie diese in Gefahr brachten. Nur bei den Senkenwürmern machten sie eine Ausnahme. Setzten aber dabei ausschließlich ihre fortgeschrittene Strahlentechnologie ein. Die aber nicht die gewünschten Auswirkungen zeigte und den Schwarm der Senkenwürmer nicht vertrieb. Ihnen blieb nur die Flucht.
Eine Vibration des Bodens unter ihm, ließ ihn aufblicken. Staubwolken erhoben sich vom Erdboden und von den Resten der Gebäudestrukturen rieselte weiterer Staub herab. Ein Erdbeben? Weit vor ihm brachen Gebäudereste in sich zusammen, als etwas aus dem Boden hervorbrach. Es war ein leichtes Schillern, das sich quer vor ihm zeigte. Nach rechts und links endlos weitergehend. Ein Senkenwurm. Langsam tauchte er aus der Erde auf. So, als ob der Erdboden für ihn in flüssiger Form vor lag. Leicht schwebend tauchte er an der Oberfläche auf. Er wirkte teilweise durchsichtig und so konnte er sehen, dass sich das Schillernde an der Erde anhaftete, durch die der Senkenwurm sich nach oben hindurch bewegte. Er wurde dabei von oben her immer farbloser, grauer. Und als graue halbdurchsichtige Röhre blieb er reglos zu dreiviertel sichtbar, an der Erdoberfläche liegen.
Die Menschheit hatte nichts von dem Schwarm der Senkenwürmer gewusst, aber auf die sie warnenden Aliens reagiert. Indem sie die Oberfläche der Erde mit Radioaktivität anreicherten. Es gab allerdings auch noch die natürliche Radioaktivität im Erdinneren. Für die Senkenwürmer, die im Zentrum der Erde auftauchten, schien sie Unwohlsein zu verursachen. Sie tauchten zur Oberfläche empor, nur um dort zahlreiche Gebiete vorzufinden, die ein vielfaches der radioaktiven Strahlung aufwies. Was für sie zum Absterben führte.
Die Vibration des Bodens verebbte wieder. Seinem Gefühl nach hätte es sehr viel stärkere Erschütterungen geben müssen, denn ein Senkenwurm durchmaß einige dutzend Meter oder mehr. Es konnten auch hundert und mehr an Metern sein. Er konnte es nicht genau abschätzen. Erkannt hatte er aber, dass sie halbtransparent nicht nur optisch, sondern auch für Materie waren. Er hatte die Erde durch ihn hindurchwandern gesehen, je höher er sich aus dem Untergrund schob. Es erinnerte ihn ein wenig an einen Regenwurm. Nur dass Senkenwürmer die Erde oder Materie nicht von vorn in sich aufnahmen, sondern über ihren ganzen Körper. Wenn es sich bei ihnen denn überhaupt um einen materiellen Körper handelte.
Er strich sich über die Stirn und es fielen einige Haare herab. Sein Sterben hatte begonnen. Die radioaktive Strahlung zerstörte immer mehr Zellen in seinem Körper. Die Haarwurzeln hatten sich aufgelöst und ihren Halt in der Kopfhaut verloren. Mit der Hand holte er ein weiteres Büschel an Haaren vom Kopf. Er spürte es nicht einmal. Erneut blickte er in die Ferne. Ein Ziel hatte er nicht mehr. Nur kurz dachte er daran, in den Bremer Norden aufzubrechen. Sein Bruder wohnte dort. Hatte dort gewohnt, korrigierte er sich augenblicklich. Die zerstörende Wirkung der Atomexplosion musste dort noch heftigere Auswirkungen gezeigt haben, denn der Bremer Norden lag höher als die Borgfelder Umgebung. Das Haus seines Bruders stand ganz oben auf der dortigen Erhebung und hatte folglich, die ganze Wucht der Explosionswelle abbekommen. Hier in Borgfeld befanden sich die Häuser niedriger und nur die Dächer und obersten Etagen gab es bei ihnen nicht mehr.
Nein. Er hatte kein Ziel mehr. Er blieb sitzen. Er spürte keinen Zorn auf den Senkenwurm vor sich. Die Menschheit hatte sich ja bereits vor deren Ankunft selbst umgebracht. Die Senkenwürmer, die sich die Erde als Ziel ausgesucht hatten, würden alle absterben. So wie diejenigen, die sich die tiefste Senke ausgesucht hatten. Die Sonne. Auch dort würden sie nicht überleben können. Wenn der Schwarm vorübergezogen war, blieb das Zentralgestirn sowie die Erde, als ein Ein-Planetensystem zurück. Ohne Menschen oder zumindest mit einer verschwindend geringen Anzahl. Die freigewordene Radioaktivität würde sie letztendlich aber ebenfalls sterben lassen.
Würde es noch weiteres Leben auf der Erde geben? Die Antwort fand er recht schnell. Sie lief unter seinem angewinkelten Bein hindurch. Ein Insekt. Insekten gab es viele Arten auf der Erde. Einige wenige dieser Arten würden überleben. Sie bildeten den Fortbestand der Evolution. Würden aber, wenn sie sich einmal so weit entwickelt hatten, dass sie die Raumfahrt beherrschten, nur Planeten vorfinden, die radioaktives Material in sich bargen.
Er fühlte sich müde und legte sich auf den Rücken. Er sah dabei nach rechts, auf das Haus in dem vor vier Jahrzehnten seine Großmutter gewohnt hatte. Dahinter das Haus, in dem er, unten wohnend, selbst die ersten Lebensjahre verbracht hatte. Seine ersten Erinnerungen stammten aus dieser Zeit. Dann wandte er den Blick himmelwärts. Dunkle Wolken zogen am Rand seines Blickfelds auf. Nur über ihm war der Himmel noch klar. Je näher sich die, mit sauren Regen gefüllten Wolken heranschoben, umso müder wurde er.
Sein Weg war weit gewesen, aber nun näherte er sich dem Ende. Fortschrittliche Insekten würden einst das Raumschiff der Aliens, mit der Strahlentechnologie sowie die Informationen über den Schwarm der Senkenwürmer in Form des Kristalls bei ihm finden und entschlüsseln. Ihr Universum würde etwas kleiner sein, was benachbarte Planetensysteme anging. Aber es würden Welten sein, die sie besiedeln konnten. Sie hatten alle eine Gemeinsamkeit.
Der Himmel wurde dunkel über ihm und dann entglitten seine Gedanken in den letzten hellen Lichtfleck über ihn.

Ende

Geschrieben von Andreas Blome