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Tunnel

Ein wissenschaftliches Experiment

Wissenschaftler schaffen eine Verbindung zu anderen Planeten, wie sie denken. Aber muss das wirklich so sein? Die Antwort kann auch ganz naheliegend ausfallen.

 

Labor
Das penetrante Summen des Weckers auf dem Nachtschrank ließ ihn letztendlich wach werden. In den letzten Minuten hatte er versucht, es einfach zu ignorieren, aber schließlich konnte er es aus seinen Gedanken nicht mehr entfernen. Das Summen hatte sich eingenistet und war jetzt nicht mehr zu ignorieren. Womit der Wecker natürlich den morgendlichen Kampf wieder einmal gewonnen hatte.
Er stand also auf, gähnte einmal herzhaft und schlurfte dann noch schlaftrunken in das gleich angrenzende Badezimmer. Vor dem Spiegel sah er sich zum ersten Mal in die Augen. Kleine Sandkörnchen hingen in den Augenwinkeln. Er schien gut geschlafen zu haben diese Nacht. Obwohl er erst spät von der Party eine Etage tiefer zurückgekehrt war. Er hatte aber auch darauf geachtet nicht zu viel zu trinken und vor allem nicht verschiedene Sorten durcheinander.
Der Erfolg dieser Strategie schien ihm jetzt recht zu geben. Er war nicht verkatert, sondern nur Müde. Mit etwas kalten und frischem Wasser im Gesicht strahlte er dann den kleinen Fleck an, der sich hinter seinem Spiegelbild an der Kachelwand des Badezimmers befand. Er war jetzt ein wenig größer als noch gestern Morgen.
Missmutig wandte er sich um, um ihn genauer zu betrachten. Zwischen zwei der Kacheln war die Fuge etwas zerbröckelt und es war ein klitzekleines Loch entstanden, durch das sich anscheinend irgendeine Art von Insekten oder Käfern durchgearbeitet hatten. Er zerdrückte einige von ihnen, die er mit seinem Daumen erfassen konnte und entschloss sich endlich einen Kammerjäger kommen zu lassen.
Denn das Problem bekam er alleine nicht in den Griff. Er hatte schon mehrmals versucht, das Loch zu kitten, aber immer wieder tauchte es auf. Die Insekten oder Käfer, er hatte diese Viecher auch noch nie gesehen, schienen nicht aufzugeben und hatten wohl vor seine Badezimmerwand zu erobern. Woher sie eigentlich kamen, war ihm ein Rätsel, denn hinter dieser Wand befand sich nur sein Schlafzimmer und von einem Hohlraum in der Wand wusste er nichts. Sollte sich der Kammerjäger darum kümmern.
Er setzte seine morgendliche Toilette fort und brach dann ohne ein Frühstück auf. Dem Concierge unten im Treppenhaus gab er den Auftrag sich um einen Kammerjäger zu kümmern, damit sein Badezimmerproblem fachmännisch gelöst wurde. Der Concierge versprach ihm sich sofort darum zu kümmern und griff auch gleich zum Telefon. Was wohl mit an seiner Berühmtheit lag. Immerhin war er ein hoch angesehener Wissenschaftler und hatte sich statt für ein Hotelzimmer für eine Wohnung in einem normalen Wohnblock entschieden. Zum Missmut des Leibwächters.
Letzterer war ihm ständig auf den Fersen und auch nicht abzuschütteln. Er hatte bisher erfolglos darum gebeten ihn abzuziehen, war damit aber auf taube Ohren bei dem Forschungsleiter gestoßen. Immerhin war er ein Gast aus Frankreich und in den wissenschaftlichen Kreisen sehr bekannt. Zudem herrschte wegen der aktuellen Lage im Land die Gefahr einer Entführung in der Luft. Deshalb der Leibwächter. Vielleicht waren es auch mehrere Leibwächter. Das hatte er nicht herausfinden können. Nur diesen einen Leibwächter konnte er in seiner Umgebung ausmachen. Und der war ihm schon zu viel. Er fühlte sich beengt.
Mit einem zusätzlich angezogenen Pullover und der am Hals fest geschlossenen gefütterten Jacke trotzte er dem eiskalten Wind in den Straßen von Manhattan. Er ging die wenigen hundert Meter zu fuß statt mit dem Auto oder mit der Untergrundbahn zu fahren. So konnte er noch bei Luigi kurz für einen Kaffee und ein oder zwei Muffins einkehren.
Mit Nahrung gestärkt betrat er dann das Bürogebäude. Es war keines der Großen, wie sie umliegend gebaut worden waren, sondern eines der Mittleren nur. Aber es wies eine Besonderheit auf, die alle Anderen nicht hatten. Im Keller weit unterhalb der dortigen Tiefgaragen gab es eine geheime Forschungsanlage, von der niemand etwas ahnte. Er betrat sie nicht durch den Lift, wie oft üblich, sondern durch einen der vielen kleinen Räume die Putzutensilien beherbergten. Auf einem der Regale dort lag augenscheinlich ein alter Spiegel. Allerdings staubfrei. Er legte die rechte Hand darauf, was die Tür, durch die er gerade den Raum betreten hatte, verschloss. Erst nach wenigen Sekunden schob sich eines der Regale nach hinten weg und ließ ihn in einen schmalen Gang hinein. Kaum drinnen schob sich das Regal wieder an seine alte Position zurück und gab dadurch wieder die Tür nach draußen frei. Ein geheimer Zugang von den nicht einmal die Putzkolonne etwas ahnte.
In dem engen Gang wurde er nun gescannt, und wenn er nicht der wäre, der er war, würde er nun ein Opfer der Sicherheitseinrichtung werden. Was nichts anderes hieß, als das er von einigen hundert Kugeln durchsiebt werden würde. Zumindest nahm er das an, denn bisher hatte ihm niemand eine entsprechende Antwort auf die Frage gegeben. Aber man kannte das ja aus vielen Filmen schon.
Hinter dem Gang lag ein Fahrstuhl, der ihn nach unten in die eigentliche Forschungsanlage bringen würde. Einer Kugel von rund einhundert Metern im Durchmesser. Autark für einige Monate, wenn es darauf ankommen sollte. Die Fahrt hinunter dauerte einige Minuten. In diesen Minuten wurde er ein weiteres Mal untersucht, wie er wusste. Denn er hatte die Monitore unten an der Fahrstuhlöffnung schon gesehen. Er winkte dem dortigen Wachmann kurz über die Kamera zu und grinste.
Als sich die Fahrstuhltür öffnete, wurde er auch schon begrüßt. Man fragte ihm nach seinem Befinden und ob er ein vielleicht eine Kopfschmerztablette brauchte, nachdem er gestern so lange gefeiert hatte. Das war auch etwas, das er hasste. Sie wussten allesamt Bescheid, was er so in seiner Freizeit trieb. Als wenn er überhaupt keine hatte, sondern ständig überwacht wurde. Aber genau das wurde er ja auch. Ihm wäre aber sehr viel wohler gewesen, wenn man es ihm nicht ständig unter die Nase reiben würde. Die Frage nach der Kopfschmerztablette verneinte er und spazierte gleich los in das große Hauptlabor.
Dort herrschte die immerwährende Hektik des Aufbruchs ins Unbekannte. Das große wabernde Wellentor verschlang gerade einen Roboter nach dem anderen. Erst als der letzte Roboter hindurchgegangen war, verkleinerte es sich mechanisch bis auf seinen Minimalstand von etwa fünf Zentimeter Durchmesser. Wieder einmal war eine Gruppe von Robotern erfolgreich transferiert worden.
Die Informationstechniker erhielten auch schon die ersten Daten aus dem Wellentor, die von der gerade durchtransferierten Robotergruppe zurückgesandt wurden. Kaum hatte er das Hauptlabor betreten, wurde er auch schon von den anderen anwesenden Wissenschaftlern in Beschlag genommen. Es war in den letzten Tagen vermehrt zu Problemen gekommen, die nun endlich gelöst werden mussten. Der entsprechende Druck von oben wuchs täglich. Irgendwie erinnerte ihn das an sein eigenes Badezimmerproblem. Er hoffte, dass der Kammerjäger es bereits in Angriff genommen hatte.
In einem der kleineren Nebenlaborräume setzte man sich zusammen und besprach das Problem, für das sie noch eine Lösung suchten. Denn jedes Mal wenn sie das Wellentor aufbauten, wurde eine Diskrepanz zwischen der Theorie und der Praxis offenbar. Es schien sich, um nichts Weltbewegendes zu handeln, denn das Wellentor baute sich ja auf und ein Transfer, fand ohne Probleme statt aber trotzdem passierte etwas, das nicht vorausgesehen wurde und das störte alle Wissenschaftler. Den anwesenden Militärs war es egal. Ihr Ziel war mit dem erfolgreichen Transfer der Roboter erreicht worden.
Aber nun wollte sie Menschen, Soldaten um genau zu sein, hindurchschicken und da weigerten sich die Wissenschaftler noch. Roboter waren eine Sache, Menschen eine ganz andere. Infolgedessen wurde der Druck auf die Wissenschaftler immer größer dieses Problem zu lösen.
Das Prinzip des Wellentores war eine einfache Sache. Zumindest in den Augen des Militärs. Man öffnete einen Durchgang und kam an ein, bisher noch unbekanntes, Ziel heraus. Und die Verbindung blieb stabil, solange man dem Wellentor weiterhin Energie zuführte, und zwar in beide Richtungen. Die hindurch geschickten Roboter kamen heil hindurch und teilweise auch wieder zurück. Einige waren aus unerklärlichen Gründen auf der anderen Seite verloren gegangen. Auch ein Problem, das die Wissenschaftler beschäftigte. Nicht so dem Militär. Sie wurden dort als normal erwartete Verluste registriert.
Als er an dem Besprechungstisch platz nahm, ahnte er, wie die Militärs dachten. Er erinnerte sich an die alten Fernsehfolgen einer Serie namens ‹Stargate› die vor einigen Jahren im Fernsehen liefen. Dort wurde auch ein Tor, ähnlich wie dem Jetzigen geöffnet und die Militärs erkundeten dort fremde Welten. Die Ähnlichkeit war zwar vorhanden, aber wenn man genauer hinsah, waren es doch zwei völlig verschiedene Vorgehensweisen.
Man wusste zum Beispiel immer noch nicht, wo man eigentlich herauskam. Dass es ein Ziel gab, war eine Tatsache, aber wo dieses Ziel lag, noch nicht. Laut den letzten Meldungen hatte man inzwischen sechs verschiedene Ziele mit kleinen Roboterbasen etabliert. Alle an einem anderen Zielort. Keine konnte von der Anderen etwas erfahren. Aber alle hatten in etwa die gleiche Umgebung. Ein tiefer Graben und ansonsten flaches Gebiet um einem herum. Farblich unterschiedlich von Basis zu Basis.
Dann gab es noch den Unterschied, dass man kein Wurmloch aufbaute, wie in den ‹Stargate› Folgen erzählt, sondern man untertunnelte eine Raumwelle, mittels einer linearen Wellenfront. Dabei orientierte man sich an einem Element, von dem man annahm, das es überall im Kosmos vorkommen sollte. Und man nahm eines, das voraussichtlich nicht auf einem möglichen Gasriesen existierte, sondern nur auf festen Planeten. Wobei man aber immer noch nicht zweifelsfrei nachgewiesen hatte, ob man auch wirklich auf einem anderen Planeten herausgekommen war.
Dass es einen bzw. mehrere Zielorte gab, war gesichert. Das es dort Sauerstoff und eine feste Oberfläche gab ebenso. Aber mehr wusste man nicht. Und dorthin sollten nun Soldaten als Versuchspersonen geschickt werden. Undenkbar für die Wissenschaftler. Vor allem weil ihr Problem noch nicht gelöst war.
Es nannte sich unregelmäßige Wellenfront und brachte sich jedes Mal erneut zum Tragen, wenn man eine neue Verbindung aufbaute. Beim Aufbau des Wellentores passierte folgendes. Man initiierte eine Stoßfront auf der Wellenlänge des bestimmten Elements. Wissenschaftlich war längst bewiesen, dass Elektronen nicht nur, als den Kern umkreisende Elemente betrachtet werden konnten, sondern auch als Wellen. Diese Wellen wurden nun durch eine künstlich erzeugte Raumwelle mittels einer stoßartigen linearen Welle untertunnelt, sodass sich ein Tunnel bildete. Und solange diesem Prozess Energie zugefügt wurde, blieb der Tunnel stabil.
In den Anfangstagen war dieser Tunnel nur Mikrometer groß gewesen, aber man hatte dann erkannt, je mehr Energie man diesem Anfangsprozess mitgab, umso größer war der Tunnel, der entstand. Existierte der Tunnel erst einmal, so brauchte man zu seiner Erhaltung nur noch wenig Energie. Und er ließ sich problemlos verkleinern und wieder vergrößern. Allerdings nur bis zu seiner anfänglichen Maximalgröße, ohne zusammenzubrechen.
Nun tauchte aber jedes Mal eine unregelmäßige Wellenfront beim Initiierungsprozess auf. Sie war zwar nur geringfügig, brachte aber die ermittelten Zielkoordinaten durcheinander. Es war bisher nicht gelungen, zwei Tunnel direkt nebeneinander zu platzieren. Was eigentlich hätte möglich sein sollen. Und das war es, dass die Wissenschaftler so in Aufregung brachte. Es lief etwas schief aber man wusste nicht, wie und warum. Man hatte nun sechs verschiedene Tunnel erzeugt, die bisher alle stabil gehalten wurden und nach dem Aufbau in der Hauptanlage an eine der umgebenden Nebenanlagen übergeben wurde. Aber mehr war nicht möglich, denn weitere Nebenanlagen als die Sechs vorhandenen waren nicht möglich.
Die Militärs und auch die Wissenschaftler hätten gerne immer wiederkehrende Tunnel zu bestimmten Zielorten aufgebaut aber die unregelmäßige Wellenfront machte dem ein Strich durch die Rechnung. Der allererste aufgebaute Tunnel war, nachdem man einen Roboter hindurch geschickt hatte, wieder abgebaut worden, und als er neu aufgebaut werden sollte, landete man an einem ganz anderen Ziel. Es war bis heute nicht gelungen, den ersten Zielort wiederzufinden. Nicht nur den dortigen Roboter musste man als ersten Verlust abschreiben, sondern auch den Zielort selbst.
Es war auch nicht bei diesem einen Verlust geblieben. Ständig verschwanden einzelne Roboter oder auch komplett ganze Gruppen an dem anderen Ende des Tunnels. Blieb der Tunnel stabil, schickte man neue Roboter hindurch. Aber öfters schloss man den aufgebauten Tunnel einfach und erzeugte einen neuen, zu einem dann aber anderen Ziel. Es gab irgendeine Gefahr am anderen Ende der Tunnel. Aber sie war nicht greifbar. Auch etwas das den Wissenschaftlern und diesmal auch den Militärs Sorge bereitet.

Telemetrie
Nach drei Stunden war man zu keinem Ergebnis gekommen. Man hatte einige Vorschläge vorgebracht, von denen man nun einigen nachgehen würde. Er selbst würde bei einem Telemetrieversuch mitmachen. Bisher hatten immer nur die Roboter, Bilder zurückgesandt. Aber nun hatte man in der letzten Robotergruppe einen dabei, der eine menschliche Telemetrie zuließ. Es war nicht ganz gefahrlos, wie man ihm mitteilte, aber das wusste er ja selbst. Denn falls während der Telemetriesitzung die Tunnelverbindung zusammenbrach, wusste man nicht, wie er das geistig verkraften würde. Denn er wäre ja bewusstseinsmäßig auf der anderen Tunnelseite.
Wie dem auch sei, er war gewillt, dieses Risiko einzugehen. Und so spazierte er zusammen mit den anderen Wissenschaftlern wieder in das Hauptlabor zurück und setzte sich in eine spezielle Telemetrieapparatur, an der runden Außenwand des Labors. Von hier aus hatte er auch einen sehr guten Überblick über das Labor selbst. Es war zentral in der Laborkugel untergebracht. Hatte also den maximalen Raum zur Verfügung. Über zahlreiche kleine Treppen, die nach oben und unten führten, hatte man Zugang zu den diversen kleineren Laborräumen und sonstigen Anlagen wie die der Stromerzeuger, der Küche, den Aufenthaltsräumen usw.
Zentral in der Mitte des Labors befand sich der variable Ring des Wellentores. Momenten auf seinen kleinsten Durchmesser zurückgefahren. Um ihn herum eine Rampe, die bis in seine Mitte reichte sowie sechs kleinere Wellentore, die darum herum angeordnet waren. Diese kleineren Wellentore konnten nur den kleinsten möglichen Durchmesser stabil halten und dienten als Haltepunkte für die bereits aufgebauten Tunnel. Eigentlich waren sie dazu nie vorgesehen, aber die Ereignisse mit den Tunneln brachten einen entsprechenden Umbau mit sich. Irgendwie musste man ja einen bestehenden Tunnel offen halten und da boten sich die sechs kleinen Wellentorgeneratoren an. Sie dienten sozusagen als Anker für eine bestehende Verbindung.
Normalerweise sollten sie dem großen zentralen Wellentor als Resonanztore dienen, um die Verbindung stabil zu halten. Aber die Erfahrung hatte gezeigt, dass dies nicht nötig war. Sie waren nicht genutzt worden, und erst als man die allererste Tunnelverbindung, nicht ein zweites Mal aufbauen konnte, nutzte man sie als Haltepunkte für bereits bestehende Tunnel. Mehr als maximal sechs Tunnel waren aber so nicht möglich. Eigentlich sieben, aber davon rieten die Wissenschaftler ab. So wurden die Robotergruppen immer über das Hauptwellentor hin- und zurückgeschickt. Wobei man jedes Mal, den Haltepunkt des Tunnels tauschte. Das klappte ganz gut bisher.
Für den jetzigen Telemetrieversuch brauchte der Tunnel aber nicht getauscht zu werden. Man setzte ihn den Telemetriehelm auf, stülpte ihm Handschuhe sowie entsprechende Schuhe über und vergewisserte sich, dass alles richtig angeschlossen war. Ärzte befestigten noch zahlreiche Monitore an seinem Körper, um über seinen körperlichen Zustand auf dem laufenden zu bleiben. Seinen geistigen Zustand konnten sie nicht überwachen. Höchstens das man anhand der Telemetriedaten, entsprechende Rückschlüsse ziehen konnte.
Dann war es so weit. Ein Techniker nickte ihm zu, als er die Verbindung zu dem Telemetrieroboter auf der anderen Seite des Tunnels aktivierte. Aber erst als er selbst einen Schalter mit dem Daumen betätigte baute sich die Verbindung zu ihm selbst auf. Er befand sich plötzlich auf der anderen Seite. Wo immer das auch sein mochte.
Das Erste was er sah, war ein bläulicher Himmel, der einen gigantischen Graben beleuchtete. Er selbst befand sich am Abbruch des Grabens, etwa auf halber Höhe. Ihm wurde leicht schwindelig von dem Anblick. Die Perspektive war leicht irritierend denn es war ja nicht er selbst der dort zugegen war, sondern nur der Telemetrieroboter. Er sah sich um und entdeckte einige der Roboter hinter sich, die an einem Gerät arbeiteten. Das musste die Kommunikationsanlage sein, mit der sie Verbindung zum Labor hielten. Daneben entdeckte er die hiesige Wellentoröffnung. Hier, auf der anderen Seite des Tunnels hatte sie keinen mechanischen Ring um sich herum, sondern zeigte sich als wabernder Trichter, der sich leicht in die Tiefe wölbte.
Die Gruppe der Roboter bestand aus sieben Maschinen. Seiner Eigenen eingeschlossen. Drei davon bildeten die Basis um das Tor und der Kommunikationsanlage herum. Drei weitere waren in der Umgebung unterwegs und sondierten. Er setzte seinen eigenen Roboter in Bewegung und folgte der Leitlinie, die ihn hinauf zum Rand des Grabens bringen würde. Es war ein steiler Aufstieg, wobei es zahlreiche Schwierigkeiten zu überwinden gab. Aber die eingesetzten Roboter waren mit ihren Spinnenbeinen bestens gerüstet. Sie hatten keine Schwierigkeiten die schroffen Abgründe zu überwinden.
Nur ihm selbst, der quasi als Gast in dem Roboter saß, wurde des Öfteren ganz anders in seiner Haut. Die allerdings auf der anderen Seite des Tunnels in Sicherheit war, wie er sich immer wieder einredete. Wenn er sich genau konzentrierte, konnte er auch die ihn umgebenden Techniker und Ärzte hören, aber die Eindrücke der Telemetrie waren so atemberaubend, dass er schnell alles andere verdrängte.
Es dauerte eine geraume Zeit, bis der obere Rand des Grabens erreicht wurde. Zum ersten Mal ersah er den gigantischen Graben, der eine ungeheuerliche Ebene durchschnitt. Diese Ebene war, übersäht mit Felsen, in allen Größen und Formen. Sie wirkte fast irdisch, nur die seltsame Farbgebung unterschied sie davon. Er sah über die Telemetrie nur einen gelblichen Farbton in zahlreichen Schattierungen. Erst als er die Fokussierung der Kameraaugen des Telemetrieroboters bis auf das Maximum erhöhte, nahm er einen weißlichen Farbton in der Ferne wahr.
Vielleicht ein Meer? Oder wieder einer Ebene nur in einem anderen Farbton? Er konnte nur mutmaßen. Er konzentrierte sich wieder auf die naheliegende Umgebung. Die Daten des Roboters zeigten ihm, das eine atembare Atmosphäre bestand. Allerdings waren die gravimetrischen Angaben konfus. Er checkte den internen Kreiselkompass des Telemetrieroboters. Er wies eine um neunzig Grad verdrehte gravimetrische Richtung auf. Oben war nicht oben, sondern momentan vor ihm!
Ein Schwindel überkam ihm es ihm, als ihm bewusst wurde, dass er quasi über Kopf an einer Ebene hing und er direkt in eine unergründliche Tiefe sah. Sein Herz schlug immer schneller und nur der Aufmerksamkeit der Ärzte verdankte er es, das er nicht das Bewusstsein verlor. Sie holten ihn sofort aus der Telemetrie zurück, als sie den beschleunigten Herzschlag maßen. Laut keuchend und Luft holend hing er mehr in der Telemetrieapparatur, als das er darin saß.
Aber kaum der normalen Umgebung ausgesetzt, beruhigte er sich schnell wieder. Den Robotern machte es nichts aus, wo oben und unten war, aber den Menschen schon. Er schilderte seine Eindrücke auf der anschließenden Besprechung. Es war nicht seine erste Telemetriesitzung, aber jede weitere zeigte neue Erfahrungen und Erkenntnisse auf. Und nach jeder Weiteren war man einen Schritt weiter gekommen.

Erkenntnisse
Nach anstrengenden dreizehn Stunden im Labor machte er sich wieder auf dem Heimweg in seinen Wohnblock. Da er wieder einmal nichts gegessen hatte, das passierte ihm die letzten Male fast ständig, blieb er noch eine Stunde bei Luigi sitzen. Ausreichend gesättigt und auch irgendwie Müde, machte er sich wieder zu Fuß zu seiner Wohnung auf. Der Concierge gab ihm zu verstehen, das der Kammerjäger vor knapp einer Stunde da gewesen sei und der Insekten- oder Käferbefall in seinem Badezimmer behoben worden sei.
Als er dann in seinem Badezimmer angekommen war, sein Leibwächter wie immer draußen im Flur blieb, sah er das der Kammerjäger, sehr gründlich gewesen war. Was wohl auch mit daran lag das mit Sicherheit ein weiterer Leibwächter oder Aufpasser ihm dabei über die Schulter gesehen hatte. Nicht nur das der Insekten- oder Käferbefall bekämpft worden war, sondern auch die Fuge selbst hatte er neu abgedichtet. Das sollte es dann wohl gewesen sein dachte er und drehte sich zum Waschbecken um. Sein Spiegelbild zeigte ein müdes Gesicht und im Hintergrund die Kachelwand. Während er sein Gesicht betrachtete, feuerten zahlreiche Neuronen in seinem Gehirn die Informationen der vergangenen Stunden zusammen und ließen seinen Herzschlag aufs Äußerste ansteigen.
Er sah an seinem bleich werdenden Gesicht im Spiegel vorbei, auf die Fuge zwischen den Kacheln an der Wand. Weißblaue Kacheln mit einer geraden Fuge dazwischen. Sein Herz schmerzte wie verrückt und er hielt sich verkrampft am Rand des Waschbeckens fest. Sein Verstand sagte ihm gerade, das es nicht möglich sein konnte aber die Neuronen in seinem Gehirn hämmerten ihm die Wahrheit in den Verstand.
Schaum bildete sich auf seinen Lippen und der rechte Arm wurde taub. Sein Gesichtsfeld verengte sich sehr stark. Blieb dabei aber auf die Fuge zwischen den Wandkacheln konzentriert, wo heute Morgen noch der Insekten- oder Käferbefall gewesen war. Die Fuge. Ein Graben, wenn man die entsprechende Kleinheit hatte. Wie Insekten oder Käfer sie hatten. Eine Ebene in Gelb und Weis. Nicht glatt aus der Nähe betrachtet. Wo oben um neunzig Grad verdreht lag.
Ihm wurde schwarz vor Augen, als die Neuronen in seinem Gehirn die Zusammenhänge verknüpften. Die unregelmäßige Wellenfront, sie wurde erklärbar. Sie war nichts anderen als eine Transformation der Größe. Die Insekten oder Käfer an der Wand, das konnten die Roboter gewesen sein. Das konnte er vor kurzem gewesen sein. Er brauchte Klarheit.
Vor Schmerz in seiner Brust halb wahnsinnig suchte er das Telefon im Schlafzimmer auf und wählte die Labornummer aus dem Gedächtnis. Er fragte nach dem Status der letzten Robotergruppe. Sie war, aus unerfindlichen Gründen verschwunden hieß es. Vor knapp einer Stunde.
Die restlichen Fragen der Wissenschaftler nahm er nicht mehr wahr. Er lag da bereits am Boden. Das Telefon neben seiner kraftlosen gewordenen linken Hand. Er sah an die Decke und sein letzter Gedanke fragte, ob es wahr sein konnte. Dann war da nichts mehr.

Ende

Geschrieben von Andreas Blome